© KG

Am 25. Januar wurde die Missbrauchsstudie der EKD vorgelegt. Wir sind beschämt und fassungslos. Aus diesem Grund finden Sie hier die Predigt vom 28. Januar von Pastor Jörn Contag

Sun, 28 Jan 2024 14:27:07 +0000 von Jörn Contag

„Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ (2.Kor. 4,6)

„Irdene Gefäße“ – das sind die "Tupperdosen" der Antike. Schnell gebrannt und billig standen sie in jedem Haushalt. Mehl, Eier, Hirse waren darin. Aber keine Schätze. Es war kein Beinbruch, wenn solche Gefäße zerbrachen. Die Scherben waren noch zu etwas nütze. Man findet heute noch Scherben, auf denen Rechnungen notiert waren oder Rechenaufgaben oder kurze Liebesbriefe. Man nennt sie Ostraka. Und dieses Wort Ostraka benutzt Paulus auch – er meint also ein zerbrechliches Tongefäß. Eines vielleicht, das nicht mehr ganz heil ist. Und in diesem Tongefäß ist ein Schatz. 

Wie ein zerbrechliches, vielleicht ein zerbrochenes Tongefäß kommt mir unsere Kirche vor. Ist es noch Ihre Kirche? Ich habe in der Nacht zum Freitag kein Auge zugetan. Ich spüre Wut, Traurigkeit, Scham, ich bin fassungslos und entsetzt. Ich habe keine guten Nachrichten von der Missbrauchsstudie erwartet. Aber so schlimme Zahlen dann auch nicht. Aber was mich noch mehr beschämt, das ist: Erst 2018 haben sich die Landeskirchen auf den Weg der Aufarbeitung gemacht. In diesem Jahr hat die katholische Kirche ihre „Freiburger Missbrauchsstudie“ vorgelegt. Und wir mussten hören, dass nur eine von 20 Landeskirchen die angefragten Personalakten parat hatte. 

Man verweist nun auf Personalprobleme. Ich denke, dass das stimmt. Aber es macht mich fassungslos. Es darf uns nicht wundern, wenn man uns Vertuschung vorwirft und mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren, als sowieso gewesen wären. Ich bin ernsthaft davon ausgegangen, dass die schleppende Aufarbeitung unserer Schwesterkirche ein Weckruf gewesen sei. Wir waren vorbereitet. Und nun haben wir viel weniger offengelegt, als es die katholische Kirche vor mehr als fünf Jahren tat. 

Das macht mich schlaflos. Und da war noch etwas. Es ist wichtig, sich zu entschuldigen. Und das geschieht ja auch. Aber nach dem, was wir gehört haben, kann eine Entschuldigung eigentlich gar nicht angenommen werden. Die Mitwirkung war mangelhaft und der Umgang mit den Betroffenen war es bisher auch. Das jedenfalls sagt uns die Studie. Wir haben die Betroffenen als Opfer gesehen. Aber das sind sie nicht mehr. Es sind keine Kinder mehr. Sie waren Opfer schwerer Verbrechen. Und sie leiden oft bis heute daran. Aber jetzt sind es Betroffene. Sie sind Mitwirkende und Aufklärer. 

Wenn Sie jemandem etwas Unentschuldbares angetan haben, was machen Sie dann, um dennoch zu einer Entschuldigung zu kommen? Sie tun alles, um den Schaden zu mindern und Sie fragen: „Was kann ich tun, damit Sie weiterleben können?“ Die Betroffenen müssen uns den Weg weisen zur Gerechtigkeit. Nicht wir ihnen. 

Dietrich Bonhoeffer hat auf die "billige Gnade" hingewiesen: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware. Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße.“ Eine Entschuldigung muss einhergehen mit allen Bemühungen, den zugefügten Schaden auch zu heilen. Verzeihen kann ich nur dem, der sich sichtbar mit vollem Herzen um Wiedergutmachung bemüht. 

Ich könnte noch viel mehr sagen zum irdenen Gefäß, das wir sind. Als Einzelne und als Gemeinschaft. Das Gefäß ist des Schatzes so unwürdig wie wir unwürdig sind, das Wort Gottes zu beherbergen. Aber wo uns diese Unwürdigkeit derart vor Augen geführt wird, da bedarf es mehr als „Wir hatten Personalprobleme“ und „Entschädigung nach Kirchengesetz.“

Aber ich will nicht mehr über Unwürdigkeit sprechen. Denn da ist noch der Schatz, der in uns gelegt ist. Wegen dieses Schatzes stehe ich hier. Er berührt mich bis heute und den will ich ihn gerne weitergeben. Der Schatz ist, dass wir in Jesus Christus einer Liebe begegnen, die ohne Hintergedanken ist. Christus hat die Kinder gesegnet und sie die Größten im Himmelreich genannt. Die Schwächsten waren ihm heilig. In Christus sollten wir fähig werden zu lieben. Mit diesem Schatz soll es möglich werden, dass wir selbst Menschen mit größerer Echtheit werden, weniger heuchlerisch, klarer in der Übereinstimmung von Sprechen und Handeln. Der Schatz seiner Liebe kann unser Leben erfüllen und liebevoller machen. Von ihm angesteckt können wir versuchen Menschen zu werden, die wirklich lieben können, mit Leib, Seele und Geist, nicht besitzergreifend, nicht begierlich, nicht benutzend – sondern tief und hingebungsvoll für den anderen. In der Kirche, die ich suche, glauben wir, dass die Liebe, mit der er uns liebt, eine zutiefst ehrliche Liebe ist, die nichts für sich will. In dieser Kirche glauben wir, dass er uns zu solch einer Liebe befähigen will und kann. 

Das ist zumindest das, was uns die Bibel sagt. Ich fürchte, viele von uns Pastoren und kirchlich Verantwortliche haben es vielfach und dramatisch verraten. Wir haben das irdene Gefäß mehr geschützt als den Schatz. Wir haben uns des hohen Gutes, das uns anvertraut war, als unwürdig erwiesen. Und auch ich habe meinen Anteil daran, weil auch ich zu sehr vertraut habe, dass andere es richten, weil ich sie für zuständig gehalten habe. Und ich habe auch nicht erkannt, nicht für möglich gehalten und auch nicht danach gefragt, was in unserer Kirche möglich ist. 

Ich habe neulich einen schönen Satz gehört: "Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein ganzer Wald, der wächst." Daran glaube ich auch. Gottes Liebe wächst in- und außerhalb, mit und ohne die verfasste Kirche. Gott sucht sich seine Kirche. Unter denen, die Gott lieben. Christus hat uns nicht verlassen, auch als Judas ihn verriet, Petrus ihn verleugnete und die anderen Jünger das Weite suchten. Gott ist geblieben. Wo Gottes Liebe wächst, da ist Kirche, da ist Gemeinschaft der Heiligen. Lassen Sie uns versuchen, als irdenes Gefäß, das wir nun einmal sind, dazu zu gehören. 

Amen
Bestätigen

Bist du sicher?